Mord am Stilfser Joch (Archiv1)

 

(<< letzte Einträge // noch ältere Einträge)

 

30. Dezember

Heute Morgen hatte ich wieder mal 14 Grad im Büro. Die junge Frau im Café unter mir läuft in kurzärmeligem T-Shirt herum, obwohl es dort auch nicht viel wärmer ist. Sie meinte, ein kaltes Gehirn denkt besser. Das kann ich nicht unterschreiben und bin für beheizbare Schreibtischstühle, so wie es sie für Autos gibt. Vielleicht hat das ja schon mal jemand erfunden in Norwegen oder Finnland oder Alaska, wer weiß? Werde mich nun die nächsten Tage den nächsten Morden am Stilfser Joch zuwenden, dann kommt auch wieder etwas mehr action in dieses Tagebuch...

 

27. Dezember

Weihnachten ist vorbei. Die Heizung geht wieder und neue Morde stehen an. Doch wen soll es diesmal erwischen? Kevin, Blondie oder lieber Annabel? Was wäre mit Wolfgang? Aber dann wären Franka und Joschka Halbwaise, das kann ich nicht machen. Deshalb fällt auch Jasmin aus. Es gibt noch Birgit und Sam und selbstverständlich das Servicepersonal im Hotel. Eine reichliche Auswahl, finde ich und kann nach Hause schreiten mit einem klaren Ziel für den Sonntag: Suche das Mordopfer und du wirst glücklich werden!

 

22. Dezember

Es geht wieder einmal keine Heizung hier im Büro. Ich habe nun die Möglichkeit, zum dritten (oder gar vierten Mal?) in dieser Heizperiode unseren Monteur anzurufen, der wahrscheinlich längst auf Mauritius weilt wie beispielsweise Ralf Rangnick. Kaum war Hoffenheim Herbstmeister, stieg der Trainer in den Flieger. Es wäre doch auch mal schön, gäbe es eine Herbstmeisterschaft für Krimiautoren. Wer die meisten Morde in den letzten Monaten geschrieben hat, darf nach Mauritius oder auf die Seychellen, eines der beliebtesten Reiseziele der Deutschen Weihnachten 2008 - trotz Finanzkrise. Aber was machen die Krimischreiber- und innen? Sitzen mit Eiszapfen an den Nasen über ihrer Tastatur und dürfen weder nach Mauritius noch auf die Seychellen, sie dürfen nicht einmal ihre Figuren ermorden, weil Weihnachten ist...

 

20. Dezember

Um es kurz zu machen: Alle haben diese Nacht überlebt. Es ist Advent, zumindest in der Realität der Autorin, der vorweihnachtliche Friede liegt in der Luft und mein Krimi und ich haben ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet. Dieses gilt, wenn ich mich richtig erinnere, bis zum 27. Dezember. Ich habe allerdings vergessen, was passiert, wenn ich das Abkommen verletze. Dann muss ich wahrscheinlich zehn Mal hintereinander den Motorrad Sound Simulator anhören...

 

19. Dezember

Krimischreibtag. Es ist Abend am Stilfser Joch. Alle hängen in der Bar herum. Ein Pianist spielt As time goes by, der Barkeeper spült Gläser und Mercy trinkt Pils. Julian selbstverständlich nicht, er trinkt - nein, keinen Martini, auch kein 'shaken, not stirred' - Julian trinkt Whiskey, schottischen, pur, ohne Eis. Wahlweise auch mal Brandy, spanischen, ebenfalls pur. Kevin wiederum hält sich an einem Rotweinglas fest, Blondie mag Gin Tonic, Annabel lieber Weißwein, Freddie am liebsten Kölsch, was es in dieser österreichischen Bar nicht gibt. Also trinkt er halt Zipfer Urtyp. Sam macht sich überhaupt nichts aus Alkohol, dafür schüttet er große Mengen an Cola in sich hinein und für Birgit gibt es keinen Abend ohne ihre Schorle, Weißwein, nicht Apfelsaft. Und so versinkt die Sonne hinter den Bergen und die Dunkelheit fällt über das Hotel. Ob diese Nacht alle überleben werden?

 

18. Dezember

Im Augenblick geht - ehrlich gesagt - wenig voran. Mein Ischias zwickt und ich muss arbeiten, um Geld zu verdienen, wo ich doch Krimi schreiben will. Aber das ist immer so: Habe ich Zeit, um Krimi zu schreiben, ärgere ich mich, dass ich keine Aufträge habe, um Geld zu verdienen, habe ich diese Aufträge, dann ärgere ich mich, dass mir die Zeit fehlt für den Krimi. Ein ewiger Kreislauf. Wie es wohl den anderen Krimiautoren geht? Den meisten ähnlich. Die berühmten Kollegen, die vom fiktionalen Schreiben leben können, sind wenige, der Rest hat entweder geerbt, einen ehelichen Sponsor oder arbeitet gerne Nächte durch. Was ich wiederum nicht gerne tue. Also muss ich warten, bis ich wieder Zeit habe. Oder schneller arbeiten...

 

16. Dezember

Wem ein guter Einfall fehlt, die oder der sollte einfach morgens durch den verschneiten Wald joggen. Es ist zwar mehr ein Geländelauf mit Risikoeinlage, weil dauernd die Füße wegrutschen, Bäume den Weg blockieren oder Schneemassen vom Himmel fallen (von den vielen Hunden, die nur mit einem spielen wollen, ganz zu schweigen! aber die gibt es auch im Sommer!). Auf jeden Fall bekam ich den Kopf frei von allerlei pekuniären Problemen und es machte plötzlich 'Plopp' - wie wenn in einem Barks-Comic quasi aus dem Nichts heraus eine Idee in der Denkblase von Daniel Düsentrieb steht. Auf Höhe des Predigerplatzes kam mir DIE Idee, wie der Mörder seinen Mord begangen hat, haben muss. Nun bleiben Mercy, Julian und Kommissar Hektor Schorlau noch zirka 100 Seiten Zeit, die gleiche Idee zu bekommen.

 

13. Dezember

Endlich hatte ich einmal Zeit, mir - das stand eigentlich schon vor zwanzig Buchseiten an - Gedanken zu machen, welches Motorrad welche Figur in dem Krimi fährt. Also für die Nichtmotorradfahrer wird es jetzt etwas langweilig: Annabel Baldau ist auf einer Suzuki Bandit 1250 S unterwegs, Freddie Wischnewski pilotiert eine Honda Shadow Spirit 750, Pressedame Birgit Röhrich fährt eine auf niedrige Stitzhöhe gebrachte BMW F 650 GS, Jasmin Biedermann vertraut auf die Kawasaki ER-6N und Fotograf Sam Weller treibt eine Triumph Speed Triple um die Kurven. Jetzt fehlt noch Wolfgang Biedermann: Welches Motorrad passt wohl zu braunen Strickjacken?

 

11. Dezember

Alle tun, wofür sie bezahlt werden: Die Polizei ermittelt, Julian gibt den Tourguide und was macht Mercy? Sie überlegt, ob sie nicht ein wenig Zimmermädchen spielen soll in den Hotelzimmern, deren Bewohner gerade auf Motorradtour sind. Ein wenig Betten machen und Staubwischen, alles im Rahmen der Legalität. Wenn dabei der ein oder andere Koffer aufgeht, so ganz aus Versehen, könnte sie ja auch gleich einen kleinen Blick...

 

9. Dezember

Es immer wieder schön festzustellen, wie eine vernünftige Recherche den geistigen Horizont erweitert. Nachdem ich mir auch den Showdown im Colosseum aus Die Todeskralle schlägt wieder zu reingezogen habe, musste ich mich natürlich auch informieren, wer der damalige Gegner von Bruce Lee gewesen war. Es handelte sich um einen gewissen Chuck Norris, der sich später durch eine Serie namens Walker, Texas Ranger hervorgetan hat. Das wäre ja nicht weiter bemerkenswert, wenn diese Serie nicht eine sehr aktive Fangemeinde gefunden hätte, die ganze Seiten mit Kurzwitzen ins Netz stellt. So nach dem Motto: Das Universum dehnt sich nicht aus; es läuft vor Chuck Norris davon. Oder: Es gibt keine Evolutionstheorie, sondern nur eine Liste von Kreaturen, denen Chuck Norris erlaubt zu leben. Es ergibt sich allerdings wieder die Frage, was mein Horizont mit dieser Erweiterung anstellen soll?

 

8. Dezember

Habe endlich einen Bruce-Lee-Film bekommen, Die Todeskralle schlägt wieder zu, und bin erstaunt, was so alles Kult ist auf dieser Welt. Weit besser als Bruce Lee fand ich die Hippie-Gangster, die in den 70ern Rom bevölkerten. Allerdings - das konnte ich heute nachlesen - habe ich es nicht geschafft, bis zum Showdown im Colosseum durchzuhalten. Mercy findet das entspannend. Entspannen Sie doch mit!

 

6. Dezember

Alle feiern Nikolaustag, machen es sich bei Kerzenlicht gemütlich oder trinken Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt. Ich überlege mir Alibis. Genauer gesagt: Neun Alibis! Bei einem Teil der Gäste ist es klar, fünf nahmen an Julians Sicherheitstraining teil. Vater Wolfgang wurde von Mercy mit seinem Nachwuchs beim Bäcker gesehen, Blondie - "Call me, you can call me anytime, call me…“ - war beim Mountainbiken. Ein Gast, die Schauspielerin Sophie Sonntag, reiste erst nach Entdeckung des Mordes an. Wo aber war Kevin Meier?

 

5. Dezember

Nun ist es raus: Julian ist keinesfalls aus eigenem Unvermögen auf Seite 1 von Mord am Stilfser Joch mit der Kawasaki Z 900 - der Maschine, die Roger Moore und Anja Amasowa in Der Spion, der mich liebte verfolgt und angreift - aus der Kurve gefallen. Hätte es nicht der Kriminaltechniker entdeckt, wäre Mercy zwangsläufig beim Reifenwechseln darüber gestolpert. Was hätte sie dann getan? Wäre sie zu Julian, zur Polizei gegangen? Oder hätte sie die Beweise einfach unterschlagen? Um eine Panik unter den Gästen zu vermeiden? Um die Veranstaltung nicht zu gefährden? Um Julian die kleine Delle im Selbstbewusstsein zu lassen? Wir werden es nie erfahren, denn die Realität hat Julians Sturz längst überholt. Nun weiß auch Mercy: Sie muss selbst aktiv werden, zur Not auch mit Julians Hilfe.

 

3. Dezember

Ich denke, es wird Zeit für eine kleine Zusammenfassung der Ereignisse: Unter der Leitung von Julian, der aussieht wie Pierce Brosnan, und Mercedes, die Motorräder mehr liebt als Männer, treffen sich zehn Bikerinnen und Biker, um gemeinsam Alpenpässe zu sammeln. Doch bevor sie überhaupt den ersten Pass in Angriff nehmen können, liegt schon eine Leiche hinter der Reifenmontiermaschine - erschlagen von einem Franzosen. Nun sitzen Julian und Mercy im Hotelzimmer und halten eine Krisensitzung ab. Ist es unter diesen Umständen überhaupt möglich, die Veranstaltung weiter zu führen? Was deutet ein Abbruch - vor allem Angesichts der Finanzkrise - für die Agentur, bei der beide arbeiten? Da laut Kripo sowieso niemand abreisen darf, bis der Mörder gefasst ist, warum dann nicht wenigstens Spaß haben, meint Julian. Und Mercy findet das/ihn pietätlos...

 

1. Dezember

Heute ist etwas geschehen, was ich als einen Writer's High bezeichnen würde, einen schmerzfreien und euphorischen Gemütszustand, der alle Anstrengung vergessen lässt und das Gefühl vermittelt, ewig weiterschreiben zu können. Julian wurde von Kommissar Hektor Schorlau zu dem Mord verhört. Eigentlich keine Situation, die zu Euphorie Anlass gibt. Ich muss auch gestehen, ich hatte mir vorher keine großen Gedanken gemacht, wie die beiden nun miteinander klar kommen würden. Taten sie zuerst auch nicht, denn der Kommissar ließ Julian deutlich spüren, dass a) Tourguide in seinen Augen nicht unbedingt ein richtiger Beruf ist und b) am ersten Tag bei einem neuen Arbeitgeber gleich zu spät zu kommen nicht für Seriosität spricht. Dann kam die Sprache auf Gästin Blondie, die nicht nur so aussieht, sondern auch wirklich so heißt, weil ihre Mutter auf die Band Blondie gestanden hat, was Julian dazu verleitete, den Song Call me leise zu intonieren. Cineast Hektor Schorlau erinnerte sich, dass Call me der Titelsong von American Gigolo war und dass der Held Julian Kaye hieß. Und Julian konnte beisteuern, dass die Figur des Detective Sunday in diesem Film von einem Schaupieler namens Hector Elizondo verkörpert worden war. Glauben Sie mir nicht? Stimmt wirklich und nichts davon war geplant und ich könnte schreiben und schreiben und schreiben...

 

30. November

Der Verlag hat eine Website eingerichtet: www.motorradkrimi.de, auf der er Mord am Stiflser Joch und Tödlicher Speed von Kollegen Frank Marx ankündigt. Fand die Texte sehr interessant, vor allem den zu Mord am Stilfser Joch. Hatte bis jetzt kein Mordopfer namens Fritz vorgesehen (alle Figuren des Romans siehe 10. November). Was soll ich nun tun? Mir einen Fritz ausdenken? Ihn dann auch noch töten? Immerhin hieß mein Vater hieß Fritz, das kann der Verlag natürlich nicht wissen. Dennoch Grund genug, keinen Fritz umzubringen. Vielleicht verhält es sich ja mit den Ankündigungstexten wie mit den Klappentexten auf den Büchern: Sie haben meist nicht unbedingt wirklich richtig viel mit den Inhalten zwischen den Deckeln zu tun. Genauso übrigens wie die Titel. Alte Anekdote:

Verleger zu Autor: "Na, wie nennen wir Ihren Roman denn?"

Autor: "Ich dachte an..."

Verleger: "Kommen in Ihrem Roman Pauken vor?"

Autor: "Nein."

Verleger: "Kommen Trompeten darin vor?"

Autor: "Nein!"

Verleger: "Dann nennen wir ihn doch Ohne Pauken und Trompeten!"

Wie heißt mein Krimi doch gleich?

<< letzte Einträge // noch ältere Einträge