Mord am Stilfser Joch (Archiv2)

 

(<< letzte Einträge // << Archiv 1)

 

28. November

Gestern mit Grog Synapsen freigewaschen. Auf manch eine Inspiration aus Istanbul gestoßen. Z.B. als wir in den Gassen neben dem Großen Basar flanierten und in eine schmale Seitengasse abbogen, manövrierte ein großer Schaufelbagger, bis er in der schmalen Gasse stand und den Ausgang blockierte. Stellte mir gestern Abend geniale Verfolgungsjagd vor: Julian läuft die Gasse entlang, knapp hinter ihm fährt der riesige Bagger. Kurz bevor dieser ihn an einer Hauswand zerquetschen kann, springt Julian todesmutig auf die Schaufel, die allerdings sofort vom Fahrer hochgezogen und gekippt wird. Julian fällt hinaus und hängt nur noch an seinen Armen, während die Schaufel hin und her schaukelt... Was Julian nicht weiß: Mercy ist gleichzeitig von hinten auf den Bagger gesprungen und versucht nun, den Fahrer unschädlich zu machen. Der Fahrer und Mercy kämpfen im Führerhaus um die Gewalt über das Cockpit, doch in dem engen Kasten nützen Mercys Kung Fu-Künste nichts. Endlich gelingt es ihr, die Fahrertür zu öffnen und den Fahrer hinaus zu werfen. In letzter Sekunde kann sie die Baggerschaufel nach oben kippen, Julian, der inzwischen nur noch an einer Hand gehangen hatte, fällt zurück...

Heute Morgen beim Aufwachen ist mir dann schlagartig eingefallen, dass Mord am Stilfser Joch überhaupt nicht in Istanbul spielt. Schade eigentlich!

 

27. November

Anschläge auf das Krimitagebuch, beziehungsweise die Autorin in Form von Hagelschauern haben verhindert, dass gestern wie versprochen eine neue Folge erscheinen konnte. Wandelte auf den Spuren von Pierce Brosnan alias JB, um mich selbst davon zu überzeugen, dass der Bosporus (The World is not enough) nicht nuklear verseucht ist. Habe nun, zurück in den eisigen Gefilden Südwestdeutschlands, das Gefühl, meine Synapsen sind schockgefroren und wollen von Morden an Alpenjochs nichts wissen. Werde sie heute Abend mit heißem Grog auftauen, denn Morgen gibt es Krisensitzung bei Mercy und Julian und die will ich selbstverständlich nicht verpassen.

 

20. November

Nun ist wissen es alle: Ein Mord ist geschehen. Einer der Tourgäste fiel einem gemeinen, hinterlistigen Anschlag - ausgeführt mit einem speziellen Werkzeug, dem Franzosen - zum Opfer. Oder war es Totschlag, geschah die Tat aus Affekt? Die Kripo nimmt die Ermittlungen auf, alle Miturlauber haben selbstverständlich ein Alibi, aber niemand darf abreisen, bevor der Fall nicht geklärt ist. Julian und Mercy versuchen, damit ihre Gäste zufrieden sind, den Tourplan aufrecht zu erhalten, doch dann beginnen seltsame Anschläge ihnen zusätzlich das Leben schwer zu machen...

Fortsetzung folgt am 26. November

 

19. November

Hatte mir als Mordwaffe einen Engländer ausgesucht, der erstaunlicherweise von einem Schweden erfunden wurde. Sah dann in Wikipedia den Franzosen, das ist der mit den zwei Mäulern im Gegensatz zu dem Engländer, der hat nur eins. Dafür wird er noch hergestellt im Gegensatz zum Franzosen. Obwohl dieser so hübsch plakativ ist, dass er sogar das Verkehrschild für Pannenhilfe zieren darf. Auch wenn er eben nicht mehr hergestellt wird. Mir geht es da so wie dem Bundesministerium für Verkehrsschilder: Ich finde den Franzosen mördermäßig attraktiver als den Engländer. Ob ich den Franzosen trotzdem - auch wenn er nicht mehr hergestellt wird - als Mordwaffe verwenden kann? Oder ist das Panne?

PS. Eine eingehende Analyse leicht schwindender Besucher/innenzahlen auf dieser Website führte zu der Einsicht, dass das plötzliche Springen von 10. November auf 11. Oktober in einem Tagebuch von einigen Leser/innen nicht als schrift-stellerisches Regredieren sondern als Stillstand angesehen wird. Der Fehler wurde korrigiert, die Autorin abgemahnt und im Wiederholungsfall zu Nachtschichten verdonnert.

 

18. November

Habe etwas Bitterböses getan: Während Mercedes dem Tourguide Pierce Brosnan alias Julian am Telefon vom ersten Toten berichtet, erzählt parallel die Jasminfigur einen Witz. Passte irgendwie gut, denn in diesem Witz stehen drei Motorradfahrer unterschiedlicher Marken am Himmelstor und wollen rein. Fand ich so schön galgenhumorig. Während alle anderen Biker in die Hölle müssen, darf derjenige, der mit derselben Marke unterwegs war, die auch mein Mordopfer bevorzugte, in den Himmel. Das fand ich dann wiederum tröstlich. Obwohl ja nicht alle Menschen im Himmel glücklich werden. Das auf den Wolken herumhängen und frohlocken ("Luja, sog' i") gefällt ja nicht jedem. Auch ich will lieber überall hin, statt wie die guten Mädchen in den Himmel. Deshalb bin ich manchmal auch böse.

 

17. November

Messer? Schere? Nagelfeile? Pistole? Revolver? Colt? MP? Billardkugel? Dartpfeil? Cyankali? Arsen? Rattengift? Nikotin? Knollenblätterpilz? Fingerhut? Erwürgen? Erdrosseln? Ersticken? Aufhängen? Kehle aufschlitzen? Elektroschock? Anaphylaktischer Schock? Aus dem Fenster werfen? Aus dem Flugzeug werfen? Überfahren? Ertränken? Guillotinieren? Einschläfern? Erschlagen? Erschlagen?! Erschlagen!

 

15. November

Es ist Samstag Nachmittag, die Sonne scheint und ich sitze im Büro. Warum? Weil ich mein Seitensoll der letzten Woche nicht geschafft habe. Jetzt hat auch noch eine Freundin angerufen und mir anderthalb Stunden Geschichten erzählt. Dann hat ein anderer Freund angerufen und mich zu einem Glas Sekt eingeladen. Konnte ich natürlich nicht ausschlagen. Nun soll ich gleich zu einem Abendessen und die Seiten sind immer noch nicht voll. Will ich mit einem Defizit in die nächste Woche starten? Habe eine Idee. Lasse eine Figur namens Jasmin Witze erzählen, die ich mir aus dem Netz klaue. Irgendwoher muss Jasmin die ja auch haben. Hier eine Kostprobe:

Sie: Das Motorrad ist kaputt. Es hat Wasser im Vergaser.
Er: Wasser im Vergaser? Das ist doch lächerlich!
Sie: Ich sag Dir, das Motorrad hat Wasser im Vergaser!
Er: Du weißt doch nicht mal, was ein Vergaser ist! Ich werde das mal überprüfen. Wo ist das Motorrad?
Sie: Im Pool.

Schönes Restwochenende!

 

13. November

Vorgestern war ich auf einer Veranstaltung mit den Krimipreisträgern Wolfgang Schorlau und Oliver Bottini. Wollte mal schauen, was die großen Kollegen so machen. Beide bekannten, dass sie allenfalls den groben Plot vorstrukturieren, bestenfalls einzelne Stationen der Geschichte vor dem Schreiben festlegen. Schorlau erzählte, dass es bei seinem Verlag - Kiwi - einen heiligen Raum gibt, in dem Heinrich Böll den Plot von einem seiner Romane über die gesamte Wand aufgemalt hat plus Ausarbeitung der Figuren. Würde nur niemand verstehen. Einwurf vom Publikum: Der war auch Nobelpreisträger! Heißt das, man versteht Böll nicht, weil er Nobelpreisträger war? Oder es zeichnet einen Nobelpreisträger - im Gegensatz zu einem Krimipreisträger - aus, dass er seinen Plot vor dem Schreiben aufzeichnen kann? Von Agatha Christie heißt's, sie hätte ihre Geschichten auch genauestens durchstrukturiert, eine Kollegin, die Baden-Baden-Krimis schreibt, tut das auch. Ich bin eher wie Schorlau und Bottini. Was wahrscheinlich bedeutet, dass ich nie den Nobelpreis bekommen werde.

 

12. November

Stromausfall in Freiburg. Der Bildschirm wurde schwarz und alle rannten auf die Straße. Nichts ging mehr, nicht einmal Recherche. Hatte zum Glück einen Wikipedia-Artikel zum Thema Mord oder Totschlag ausgedruckt, der Interessantes berichtete. Nach einer empirischen Untersuchung zwischen 1945 und 1975 zu unterschiedlichen Mordmerkmalen in den verschiedenen deutschen Bundesländern kam heraus, dass das Merkmal 'Habgier' in Bremen einen Anteil von 7,4 Prozent, in Bayern aber 41,7 Prozent aufweist; 'Heimtücke' in Bayern 2,8 Prozent, in Hessen jedoch 32,6 Prozent ausmachte; 'Grausamkeit' in Bayern mit 0,8 Prozent im Vergleich zu Hamburg mit 26,0 Prozent ein deutlich geringerer Aspekt darstellte. Nun haben wir wieder Strom und ich frage mich, was ich mit dieser Untersuchung anstellen soll. Soll ich die Mordmotive anhand der Herkunft meiner potentiellen Täter/innen neu gestalten? Gäbe das eine Hercule-Poirot-gerechte Lösung des Krimis: "Dieser Mord war in Planung und Tat so heimtückisch, dass ihn nur ein Mensch aus Hessen ausgeführt haben kann. Und in dieser Gruppe gibt es einen einzigen Hessen. Inspecteur, verhaften Sie Monsieur Müllär!"?

 

11. November

Ich habe es geschafft! Seit heute, 13:56 Uhr liegt ein Toter in meinem Buch. Nachdem ich jedes Mal, wenn ich nur daran dachte, eine meiner Figuren umbringen zu müssen, eine Panikattacke bekommen hatte, habe ich das getan, was die meisten Menschen tun, wenn es um Probleme geht: Ich habe es verdrängt. Habe mich tagelang damit beschäftigt, den Figuren Schauspieler zuzuordnen, damit sich Julian alias Pierce Brosnan nicht so allein in dem Roman fühlt - Kevin Meier ist zum Beispiel Micheal Weatherly, den wahrscheinlich außer mir keine Sau kennt (oder kann jemand etwas mit Logan oder Eyes Only anfangen?). Auf jeden Fall tummeln sich Susanne von Borsody und Ulrich Mühe in dem Krimi genauso wie Patrick Dempsey und Jennifer Aniston. Und als ich mir das Opfer als übergewichtigen Robert Atzorn vorstellte, war plötzlich alles kein Problem mehr: Während sie noch über ihn sprechen, liegt er schon als Leiche in der Ecke. Jetzt muss ich mir nur noch ausdenken, wie er zu Tode gekommen ist ...

 

10. November

Hier die Figuren, unter denen sich Täter und Opfer von Mord am Stilfser Joch verstecken:

Robert Baldau, Anfang 50, Unternehmer, Wiedereinsteiger, dicke Maschine - dickes Portemonnaie

Blondie Grothe, Mitte 20, Geliebte, Sozia

Annabel Baldau, Ende 40, Ex, fährt selbst, ist jedes Jahr dabei

Freddie Wischnewski, Anfang 30, auch Ex, will Blondie zurück

Kevin Meier, Mitte 30, Roberts Assistent, fährt selbst, darf nur nie

Birgit Röhrich, Ende 30, Redakteurin von Reisezeitschrift

Sam Weller, Anfang 40, Veranstaltungsfotograf

Familie Biedermann mit Jasmin, Wolfgang, Joschka und Franka - die Alibi-Kleinfamilie

Sophie Sonntag, 40, Schauspielerin undercover

Personaländerungen behält sich die Autorin vor.

 

7. November

Von wegen Heiteitei! Nachdem ich mir die kleine Anzahl an Verdächtigen von neun Personen ausgedacht habe, muss ich diese Jungs und Mädels jetzt in die Handlung einführen. Dazu der Dozent für kreatives Schreiben Sol Stein: "Bedenken Sie, dass die Variationsmöglichkeiten der handelnden Personen grenzenlos sind und dass es eine Vielzahl von Techniken gibt, diese zu entwickeln. Und wenn Sie einmal vor der schwierigen Aufgabe der Charakterisierung stehen, dann wählen Sie einfach die in diesem Kapitel beschriebenen Techniken - genauso wie Sie im Notfall die Nummer 110 wählen!"

Das Kapitel hat allerdings fünfunddreißig Seiten und die Techniken sind darin so gut versteckt wie Perlen in geschlossenen Austern. Dann verbringe ich meinen Nachmittag besser beim Freiburger Literaturgespräch, um mir Inspirationen zu holen.

 

5. November

Ganz offensichtlich habe ich eine writer's killing inhibition, eine schriftstellerische Tötungshemmung. Dabei ist die Tötungshemmung unter Psychologen, Philosophen und Anthropologen heftigst umstritten. Während Konrad Lorenz die These aufstellte, dass es eine Tötungshemmung innerhalb der Arten gebe, sind sich der Kultur- und Literaturwissenschaftler Hartmut Böhme und Stanley Kubrick (siehe 2001 - Odyssee im Weltall) einig: Mord ist der Normalfall in der Humanevolution. Nur eben nicht für alle! Untersuchungen von US-amerikanischen GIs haben ergeben, dass diese im zweiten WK eine 'kill rate' von nur zwanzig Prozent hatten (alle anderen schossen in die Luft oder überhaupt nicht). Danach holten sich die Ami-Generäle deutsche Militärpsychologen und konnten diese Rate im Koreakrieg auf 55 Prozent, in Vietnam auf 90 Prozent steigern - mit Drill, Kameradschaft und dem Einsatz von Feindbildern. Nun habe ich aber keinen Psychologen zur Hand, der mir klarmacht, dass mein selbst kreiertes Stilfser-Joch-Mordopfer eine Bombe in den Keller meiner Mutter legen will. Also schreibe ich doch noch ein paar Seiten Heiteitei und hoffe auf geduldige Leser/innen!

 

4. November

Leide seit dem Wochenende an Schlafstörungen. Der Shitpoint lässt mich nicht mehr los. Muss schnellstens einen Mord in den Krimi einbauen, doch das tue ich so ungern. Denn ehrlich gesagt ermorde ich nur widerwillig Menschen. Dafür gibt's in Blaues Gold (mein erster Roman, erschienen bei Grafit) aber viele Tote, werden diejenigen jetzt schreien, die das Buch gelesen haben. Stimmt schon, aber vor jedem Tötungsdelikt bin ich tagelang um den Rechner herumgeschlichen, habe Krankheiten simuliert, freiwillig meine Steuererklärung vorgezogen, nur um niemanden sterben lassen zu müssen. Irgendwie wachsen einem die Figuren, die man so schafft, dann doch ans Herz. Lasse deshalb meist auch die eher unsympathischen den Weg ins Jenseits gehen, bei den netten ist es noch schlimmer. Vielleicht habe ich doch den falschen Job, sollte eher Liebesromane verfassen. Oder Ratgeber.

 

2. November

Wussten Sie schon, was ein Shitpoint ist? Ich nicht, aber jetzt hat mich der Schweizer Schriftsteller Charles Lewinksy aufgeklärt: Der Shitpoint ist der Punkt, an dem der TV-Zuschauer sagt, Scheiße, jetzt gefällt es mir nicht mehr. Früher, als die chipsessenden Coachpotatoes noch aufstehen mussten und zum Fernseher gehen, um das Programm zu wechseln, lag der Shitpoint viel weiter im jeweiligen Film drinnen als heute, da ein Druck auf die Fernbedienung genügt. Deshalb muss es heute beim Tatort auch in den ersten fünf Minuten einen Mord geben. Jetzt frage ich mich natürlich, ob diese dramaturgische Veränderung der TV-Gewohnheiten auch Einfluss auf die Lesegewohnheiten hat? Wo liegt der Shitpint bei einem Kriminalroman? Muss heute auch auf den ersten fünf Seiten ein Mord passieren, damit der Leser oder die Leserin das Buch nicht wegzappt?

 

31. Oktober

Musste gestern feststellen, dass zehn geschriebene Seiten noch kein Roman sind. Hatte mal wieder einen Hänger, ist aber auch kein Wunder. Verlag hätte gerne Agatha-Christie-Szenario, bedeutet:

der Mord ist schon geschehen, bevor die Geschichte beginnt oder der Mord findet auf den ersten Seiten statt; der Schauplatz ist begrenzt, oft isoliert (Landhaus, ein einsames Hotel, ein Schiff, oder Zug wie Mord im Orientexpress); Kreis der Verdächtigen ist bekannt, klein und überschaubar, alle haben ein Motiv, alle haben ein Alibi; Detektiv übernimmt die Ermittlungen; die Arbeit des Detektivs, der Detektivin besteht darin, den Tathergang zu rekonstruieren, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden, in fulminantem Finale Täter zu überführen und die heile Welt wieder herzustellen. Habe mal den kleinen Kreis der Verdächtigen bei Agatha Christie angeschaut. In Tod auf dem Nil sind es zirka zehn, in Mord im Orientexpress sogar zwölf Leute, die ein Motiv haben. Brauche also neben den beiden Protagonisten, dem Wirt, dem Hotelservicepersonal, der Bäckerin, ihrer Tochter etc. auch noch an die zehn Verdächtige mit Gesichtern, Figuren, Charakteren, Lebensläufen, Hobbys (Motorradfahren, okay, geschenkt!), Motiv ... und da dachte ich, mit den zehn Seiten (muss ja nach Planung erst Morgen mit dem Schreiben anfangen!) hätte ich eine Woche Vorsprung herausgeschunden. Pustekuchen.

 

30. Oktober

Es läuft. Die ersten zehn Seiten stehen. Leider habe ich nun schon den zweiten Tag hintereinander meine Brille zu Hause vergessen und kann nur erahnen, was ich hier schreibe. Stelle deshalb einfach mal den ersten Dialog zwischen Mercedes, genannt Mercy, und dem Protagonisten Julian ins Netz. Zur Erklärung: Julian ist auf dem Weg zu seinem neuen Job als Tourguide irgendwo in den Alpen mit dem Motorrad - aus welchen Gründen auch immer - von der Straße abgekommen und einen Grasabhang hinunter in einen kleinen Bach gestürzt. Den Rest lesen Sie am besten selbst:

Er stand auf, öffnete das Helmschloss, zog mit der rechten Hand das Mobiltelefon aus der Innentasche seiner Jacke und mit der linken den Helm vom Kopf.

„Guten Mor…“

„Verdammt, wo bleiben Sie?“

„Ich nehme gerade ein Bad“, antwortete er.

„Das glaube ich jetzt nicht. In einer Stunde sollen Sie hier ein Sicherheitstraining abhalten und Sie liegen in der Badewanne?“

„Das habe ich nicht gesagt“, berichtigte er die Stimme am anderen Ende der Verbindung. Dabei klopfte er mit wenig Erfolg Gras und Schlamm vom Anzug.

„Machen Sie, dass Sie in Ihre Klamotten kommen und bewegen Sie Ihren Arsch hierher.“

„Das mit den Klamotten“ – und das sagte er mit einem leicht pikierten Unterton – „ist nicht das Problem. Meinen – Ähem - zu Ihnen zu bewegen, ein wohl größeres.“

Er hörte ein Schnauben in der Leitung. „Sie sind wohl ein ganz spitzfindiger, was?“

„Auch das ist eine Frage der Betrachtungsweise“, konnte er sich wieder die kleine Korrektur nicht verkneifen. „Hören Sie, wenn Sie wollen, dass ich in einer Stunde mit dem Training beginne, müssten Sie eine Kleinigkeit dafür tun. Haben Sie einen Transporter?“

„Was glauben Sie denn?“

„Gut“, sagte er und watete zu dem im Graben liegenden Motorrad, „dann gebe ich Ihnen jetzt meine Koordinaten durch.“ Er las die Ziffern-Buchstaben-Kombination vom GPS ab und unterbrach die Verbindung.

 

28. Oktober

Habe gestern mal meine Website-Statistik gecheckt, ob sich was durch dieses Krimitagebuch verändert hat. Hatte von 10. bis 26. Oktober 11 000 Besucher, im ganzen September waren es 394 Gäste. Was der Name Pierce Brosnan so ausmacht! Verdächtige meinen Webmaster, den Schauspieler in die Keywords mit aufgenommen zu haben. Hat mich trotzdem beflügelt. Fand endlich die Klammer für den Roman, die Message, das, was ich sagen will und was alles zusammenhält (kann ich leider nicht verraten, sonst ist der Krimi-Gag weg! Aber es hat mal wieder was mit George Clooney zu tun, soviel kann ich sagen). Belohnte mich mit einer Partie Solitär Spider (höchster Schwierigkeitsgrad) und diese ging auch noch auf. Anschließend rotzte ich die ersten zwei Seiten des Romans ins Word, als wären meine Finger und die Tastatur eins. Alle Fragen, wie fange ich an, mit einem Mord oder der Einführung der Personen, waren mit einem Mal beantwortet, meine linke Gehirnhälfte verbündete sich mit der rechten (oder umgekehrt), die Synapsen glühten und Funken flogen zwischen den Protagonisten ...

 

27. Oktober

Hatte mir fest vorgenommen, ein James-Bond-freies Wochenende zu verbringen (auch Krimiautorinnen brauchen schließlich freie Tage!), doch am Sonntag beim Frühstück war's vorbei damit. Schuld daran trug das Wochenendmagazin der Süddeutschen Zeitung, das den Maßanzügen von 007 im Wandel der Zeit eine Dreiviertelseite widmete. Wollte sie zuerst ignorieren, aber wenn nun etwas darin stehen würde, was mir weiter helfen konnte? Also las ich, Pierce Brosnan trug Brioni: "Der perfekt geschnittene Herrenanzug war in der Zeit der 'Gender Troubles' das beste Versteck für die männliche Unsicherheit, die lediglich von den neuen, offensiven Frauen im Bond-Universum durchschaut wurde." Aha, das waren die 90er, James Bond heute, Daniel Craig, wird in seinem neuen Film Ein Quantum Trost vom US-amerikanischen Modedesigner Tom Ford ausgestattet: "Männlichkeit ist für mich, den lässig-eleganten Savile-Row-Schnitt mit der Arroganz eines Pornostars aus den 1970er Jahren zu verschmelzen" (Ford). Und wie sieht sowas als Motorradbekleidung aus?

 

25. Oktober

Täglich muss ich nun Entscheidungen treffen. Der Verlag hätte gerne, dass Pierce Brosnan beruflich etwas mit Motorrädern zu tun hat und außerdem alte Motorräder sammelt. Das mit der Arbeit im Motorradbereich war ja einfach (Tourguide), aber welche Oldtimer kauft er sich zusammen? Alte Mopeds gibt es wie Sand am Meer und woher soll ich wissen, was Pierce-Brosnan-Typen sich so in ihre Garage stellen? Der Blick in den Ausstellungskatalog The Art of the Motorcycle vom Guggenheim Museum brachte auch nur Verwirrung. Dann hängte ich das Ideenperpetuum mobile auf und schon kam die Erleuchtung: Pierce Brosnan sammelt natürlich Motorräder, die schon in James-Bond-Filmen aufgetaucht sind. Habe also gestern den ganzen Tag im Netz recherchiert und immerhin sieben gefunden (BSA A 65 Lightning, Kawa Z 900, XT 500, Yamaha XJ 650 Turbo, Cagiva W 16, BMW R 1200 C, Trial-Montesa). Davon darf ich mir jetzt eines aussuchen, mit dem der Held im ersten Roman seine Gäste die Pässe hinauf geleitet. Ich schwanke noch zwischen der Z 900 und der Turbo, wobei ich persönlich beide Bikes ziemlich hässlich finde. Aber ich muss sie ja nicht sammeln, geschweige denn fahren! Dann lieber das Tuk Tuk aus der Visa-Werbung mit Brosnan.

 

23. Oktober

Der Countdown läuft. Anfang November geht die Schreiberei los. Erste Versuche, eine geeignete Sprache zu finden, sind sehr unbefriedigend verlaufen. Habe bis jetzt Romane in der 'ich'-Person verfasst, den Motorradkrimi will ich aus wechselnden Perspektiven erzählen (ist angeblich moderner!). Doch mehr als "Nebel hing über den Bergen" kam nicht. Da half auch kein Sol Stein. Versuche es mit einer neuen Strategie: Habe groben Plot, Figuren mit ihren Biografien und sonstige Ideen ausgedruckt und um meinen Schreibtisch herum aufgehängt. Damit quasi der Geist der Ideen zurückkommt und mir hilft, neue Ideen zu gebären, die ich dann wieder aufhänge, um so eine Art Ideenperpetuum mobile zu erzeugen, aus dem heraus sich der Krimi wie von selbst schreibt. Jetzt sitze ich da und warte ...

 

22. Oktober

Langsam nehmen die Figuren Gestalt an. Pierce Brosnan soll nach Verlagsvorschlag Andi heißen, doch das gefällt mir nicht. Ich dachte eine Zeitlang an Anton, von wegen Kästners Pünktchen und Anton, fand ich in meiner Kindheit nett. Kennen die meisten Menschen heute aber nicht mehr, nur noch Anton aus Tirol. Also bleibts erst mal bei Pierce. Die Protagonistin heißt auf jeden Fall Mercedes (ob das ihr Taufname ist oder ob sie sich selbst so nennt, löst sich in Roman Nummer 3 auf). Gerufen wird sie Mercy (selten no mercy), ist Motorradmechanikerin und liebt alte Bruce-Lee-Filme. Die lässt sie immer laufen, wenn sie nachts Reifen wechselt oder Sturzschäden behebt. Die Bruce-Lee-Teile muss ich mir natürlich auch noch antun. Im Gegensatz zu Mercy stehe ich aber nicht auf dieses Kampfkunstgedöns. Erschwerend kommt hinzu, dass mein DVD-Player streikt (mag weder James Bond noch Bruce Lee). Ich muss auf so ein Gerät zurückgreifen, das man Kindern beim Autofahren vor die Rücksitze hängt, damit sie Ruhe geben. Da brauche ich Lesebrille und Lupe, um Mimik zu erkennen. Hatte Bruce Lee überhaupt eine Mimik?

 

20. Oktober

Heute Nacht habe ich geträumt, ich wollte auf einen Krimi-Schreib-Workshop irgendwo in der Ferne. Wir reisten an, stiegen in einem schönen Hotel mit zahlreichen Türmen ab und wurden in einen gigantischen Speisesaal geführt. Dort gab es Unmengen an Essen. Ich war völlig erschlagen von den vielen Platten mit Fleisch und Fisch, so dass ich mich nicht entscheiden konnte, was ich nehmen soll. Alle anderen Teilnehmer saßen an Tischen und schlugen sich die Wampe voll. Als ich endlich auch einen Teller in der Hand hielt, rief der Busfahrer überraschend zum Aufbruch. Ich stellte meinen Teller weg und ging zum Bus. Dort erzählte der Busfahrer, das Essen sei das Beste gewesen, ab jetzt würde die Veranstaltung nur noch schlimm. Ich rannte zurück, doch das Personal kippte gerade alles Essen in Abfalleimer. Zurück im Bus fuhr dieser weg von dem schönen Hotel in der schönen Stadt in unwegsames Gelände zu einer düsteren, dunklen Kaserne, die wohl unser Aufenthaltsort für die nächste Zeit sein wird...

 

19. Oktober

Schreibblockade Nummer 1! Um Unterstützung zu bekommen, lese ich Sol Steins Über das Schreiben. Wenn ein/e Autor/in Probleme mit ihren Figuren hat, dann soll sie sich diese nackt vorstellen, rät der US-amerikanische Dozent für kreatives Schreiben. Wer jemals David Sedaris Kurzgeschichte aus Nackt über dieses Nudistencamp gelesen hat, will das nicht wirklich. Außer ich gebe meinen Protagonisten workout-gestählte Körper. Aber sind die dann nicht völlig unkuschelig? Wie Guy Richtie von seiner Noch-Ehegattin Madonna behauptet: das wäre wie "knutschen mit einem Knorpel" gewesen. Dann doch lieber ein wenig Speck um die Hüften!

 

14. Oktober

Heute stehen erste Schreibexperimente auf dem Programm. Habe deshalb versucht, mich beim Radfahren zum Büro mental auf Motorradfahren am Stilfser Joch einzustellen. Hatte immerhin zwölf Kurven, sechs rechts, sechs links. Fand dann im Internet unter www.bikecam.ch ein Video - von der Ostseite in Richtung Pass. Nach 2:46 min war mir vom ständigen Schräglagenwechsel schlecht. Sah mir noch Chaos am Stilfser Joch an und dachte spontan an die Ameisenstraßen auf unseren Gartenwegen. Will ich wirklich die Handlung am Stilfser Joch spielen lassen?

 

10. Oktober 2008

Bin gerade dabei, die Figuren zu gestalten. Die männliche Hauptperson soll nach Verlagswunsch wie James Bond aussehen. Auf meine Nachfrage, welcher James Bond denn gewünscht sei, kam die Antwort: Pierce Brosnan. War nun extra in Mama Mia, doch dieser Pierce Brosnan kann wohl nicht gemeint sein!? Jetzt muss ich mir wohl alte James-Bond-Filme reinziehen, in denen PB Anfang 40 war, denn so alt ist mein Protagonist. Welch mühsame Recherche!

 

9. Oktober 2008

Ein neues Projekt beginnt. Bis März nächsten Jahres soll ich für den Highlightsverlag einen Motorradkrimi schreiben. Bis dahin sind noch fünf Monate und ein paar kleine Wochen. Ich habe einmal ausgerechnet: Das Werk soll 200 Seiten stark werden, ich schaffe am Tag zirka fünf - dann muss ich vierzig Tage mörderische Texte in meinem Rechner hacken. Wenn ich bis Ende Oktober mit den Vorbereitungen (Recherche, Plot, Figuren, Sprache) fertig bin, also im November zu schreiben anfange, sind das acht Tage im Monat oder zwei in der Woche, die ich dem Mord am Stiflserjoch widmen muss. Das ist doch zu schaffen, oder?

 

 

<< letzte Einträge // << Archiv 1