Mord am Stilfser Joch - Krimitagebuch Teil 1

 

An dieser Stelle berichtete ich in unregelmäßiger Folge von Freud und Leid einer Auftragsschriftstellerin: Für den Highlightsverlag darf ich Motorradkrimis schreiben, den ersten - Arbeitstitel Mord am Stilfser Joch - sollte/wollte ich im März 2009 abgeben.

Es handelt sich hier um ein reines Arbeitsprotokoll, Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig, ich werde keine Auskünfte über mein Liebesleben geben und nicht den Mörder verraten.

Neu: Ältere Ausgaben des Tagebuchs sind mittlerweile im Archiv zu finden. Zudem habe ich mir - auch rückwirkend - angewöhnt, in ausgewählten Aufzeichnungen kleine Links zu verstecken. Dort können Leserinnen und Leser nun aufs Stilfser Joch fahren, Mordwerkzeuge anschauen oder Songs hören.

 

29. März

Nummerierung der Kapitel gecheckt. Deckblatt geschrieben. Zitat/Motto vor den Krimi gesetzt. Mehr bleibt nicht mehr zu tun. Nur noch Mail an Verlag verfassen, Datei anhängen und abschicken. ENDE, AUS, VORBEI. The end...

 

28. März

Zweiter Überarbeitungsdurchlauf. Beseitige kleinere Ungereimtheiten wie: Kann es sein, dass zwei Tourengäste im Besitz von Schusswaffen sind und auf die Vorderreifen fahrender Motorräder schießen? Einer Biathlet, der Vater des anderen im Schützenverein? Meine verschiedenen Ichs streiten sich. Dasjenige, das diese Szenarien vor Monaten entworfen hat, mit demjenigen, das aus heutiger Sicht darauf schaut und sich auf seine Distanz und Logik beruft. Letzteres muss nun Alternativszenario liefern, denn den zweiten Motorradsturz aus der Geschichte zu streichen, das will niemand. Habe eine Matt-Ruffsche (Set this House in Order - Ich und die Anderen) Schiedsinstanz eingerichtet, diese will nach schlafloser Nacht Spiegelattentat einbauen. Ist das nun plausibler? Kein Ahnung, aber immerhin in bester Krimitradition.

 

24. März

Auslüften abgeblasen, gleich mit Überarbeiten angefangen. Seltsam, was da alles steht - habe ich das geschrieben? Ist erst fünf Monate her und dennoch schauen mich die Sätze ganz fremd an. Vor allem, wenn ich versucht habe, Locals Tirolerisch sprechen zu lassen. Klingt echt peinlich. Steht auch in allen Bücher zum Thema 'Wie schreibe ich einen Roman': Nie in Dialekten texten, die nicht beherrscht werden!

 

23. März

Habe nun doch um einen Tag überzogen. Wie konnte ich auch glauben, übers Wochenende fertig zu werden, wenn ich weiß, dass ich am Tag nur eine ganz bestimmte Seitenzahl schaffe? Sollte mir in Zukunft realistischere Ziele setzen, dann wird meine Frustrationstoleranz höher. Heute nun ist es vollbracht: Nach knapp fünf Monaten des Schreibens konnte ich mein deutsche Lieblings-Four-Letter-Word in die Tasten hacken und die Datei schließen. Jetzt nur noch ausdrucken, ein, zwei Tage auslüften, überarbeiten und abgeben. Und mir eine Belohnung ausdenken...

 

20. März

Erste Verfolgungsjagd meines Lebens geschrieben. Nach zwei Seiten war allerdings Schluss. Habe auf filmübliche Crashs aller anderen Verkehrsteilnehmer verzichtet, den Sachschaden in Grenzen gehalten und den Personenschaden sowieso. Jetzt weiß ich nicht mehr weiter. Was enthülle ich wann? Heutzutage stellt sich ja niemand mehr wie Hercule Poirot kurz mal hin und nudelt die Verdächtigen runter, bis nur noch der Mörder übrig bleibt. Julian hat den Konferenzraum im Hotel gebucht, die Technik muss getestet werden, es wird eine Videoeinspielung geben und vieles mehr. Ich werde also wieder einen Abend zwischen vielen Zetteln verbringen, auf denen ich die unterschiedlichen Szenarien aufmale (eher kritzele), dann ins Bett liegen, morgen früh alle Blätter zerreißen, um mir etwas ganz Neues auszudenken.

Noch zwei Tage...

(Ich darf nur nicht vergessen, Papier zu kaufen, damit ich am Sonntag Abend alles ausdrucken kann.)

 

19. März

Die letzten Meter liegen vor mir. Dekliniere gerade die ganzen Möglichkeiten der Täterüberführung (Kilometerstand Motorräder, Falle stellen, Abgleich von Fotoaufnahmen- mit Anschlagszeitpunkt, Verfolgungsjagd) einmal durch, damit alle - Mercy, Julian und Die Zentrale - beschäftigt sind. Freue mich darauf, am Wochenende das ganze Werk endlich ausdrucken und zu Hause unters Kopfkissen legen zu können. Hoffe, meine Figuren erscheinen mir in der folgenden Nacht im Traum und sagen mir, was noch fehlt in der Geschichte...

 

15. März

Habe gerade versucht herauszufinden, ob es gelingen kann, mit gefesselten Händen und Beinen vom Boden in die Senkrechte zu kommen. Mich dabei im Büro auf dem Teppich gewältzt. Zum Glück ist Sonntag und niemand in der Nähe. Würde sonst wahrscheinlich sofort das ZfP in Emmendingen informieren. Versuch eh fehlgeschlagen. Die Frage ist: Würde Mercy das schaffen? Suche wieder mal Inspiration in Heroic Trio.

 

14. März

Was bindet 325mal stärker an den Blutfarbstoff Hämoglobin als Sauerstoff? Kohlenmonoxid. Und was passiert, wenn jemand in einen mit Kohlenmonoxid gesättigten Raum kommt und den Lichtschalter betätigt? Es gibt - bumm - eine Explosion. Warum ich mich damit beschäftige? Mercy liegt gefesselt und geknebelt in ihrer Werkstatt. Die Tür ist zu und drei Motorräder laufen um die Wette. Sie hofft auf Julian, der gerade Alibis checkt. Doch wie hindert sie ihn daran, das Licht anzumachen? Überlege gerade, ob ich nicht noch jemanden mit einer Zigarette herumlaufen lassen kann...

 

13. März

Eine schlechte Planung rächt sich immer. Während Schauspieler genau wissen, was ihre Figuren die letzten Stunden getan haben, bevor sie eine Theaterbühne betreten, habe ich mir keine Sekunde Gedanken gemacht, wo meine Protagonisten waren, bevor sie in den Krimi hereinspaziert sind. Nun hänge ich über Straßenkarten und überlege, in welchen Orten Mercy und Julian leben (könnten), wenn sie nicht Tourengäste betreuen. Gar nicht so einfach, eigentlich sogar ziemlich irrelevant, zumindest für die Mördersuche. Dennoch wäre es interessant zu wissen, auf welcher Passhöhe jemand auf Julian bei dessen Anreise geschießen und anschließend schnellstens ins Hotel fahren konnte, ohne aufzufallen... das heißt, Mercy muss diese Person doch gesehen haben, als sie... das ist die Idee, warum kommt sie nur nicht darauf?

 

6. März

Habe mich heute ernsthaft gefragt, welches Wetter nun für den Schreibprozess förderlicher ist: Regen oder Sonne? Scheint die Sonne, habe ich meist keine Lust, am Schreibtisch sitzend meine Tastatur zu bearbeiten. Dann zieht es mich hinaus an die frische Luft. Also müsste ich nun, da es ohne Unterlass vor sich hin regnet, mit Vergnügen Zeile um Zeile auf das Weiß meines Monitors schicken. Doch weit gefehlt. Vielleicht liegt es daran, dass ich gestern Abend bei Schneeregen nach Hause kam, um heute Morgen bei Schneeregen das Haus wieder zu verlassen, um heute Abend bei (Schnee)Regen wieder nach Hause zu fahren - mit dem Rad selbstverständich. Bin also zu dem Schluss gekommen, dass wenn die Sonne scheint, ich viel schneller schreibe, weil ich dann nämlich bald das Büro verlassen darf. Bei so einem Wetter wie heute will ich aber nicht raus, also schreibe ich auch nicht.

 

5. März

Mercy nimmt sich eine Stunde Auszeit. Sie schaut mit ihrer Schwester-im-Geiste Birgit den Film Heroic Trio und beschließt spontan, ihre Bruce-Lee-Leidenschaft nun auf Michelle Yeoh zu übertragen. Sie kann sich mit ihr weitaus besser identifizieren als mit dem uralten Kung-Fu-Star. Zumal Michelle Yeoh auch bei Der Morgen stirbt nie mitgespielt hat. Wie Pierce Brosnan. Wie sich doch die Kreise immer wieder schließen, denkt Mercy, und vergisst für eine Weile ihre ganzen Morde.

 

4. März

Weiterhin zäh. Als hätte mir jemand Sirup über die Synapsen geschüttet. Versuche, dem Problem wissenschaftlich zu begegnen. Nachforschungen zu den Vorgängen im Gehirn ergaben, Zitat: "Durch Konformationsänderungen Calcium-bindender Proteine, besonders von Synaptotagmin wird die exozytotische Zellfusion der Vesikel mit der präsynaptischen Membran herbeigeführt und der Inhalt der Vesikel in den synaptischen Spalt freigesetzt." Kein Wunder, dass das bei mir nicht funktioniert. Habe aber immerhin die täglilche Thomas-Mannsche Seite geschafft - nur (Verlag bitte wegschauen): so werde ich bis Ende März nie mit dem Roman fertig. Soll ich nun zum letzten Mittel der Schriftsteller greifen, um die Freisetzung des Inhalts der Vesikel in den synaptischen Spalt zu beschleunigen?

 

3. März

Heute läuft es ganz schön zäh. Mercy wendet nun schon zum weiß-Gott-wievielten Mal ihren Transporter im schönen Städtchen St. Valentin am Reschensee und kommt einfach nicht weg. Sie kann sich nicht entscheiden, ob sie nun mit der Tourengruppe, die auf dem Weg vom Mord am Stilfser Joch zurück ins Hotel ist, mitfahren soll oder doch besser ans Stilfser Joch, wo Julian verhört wird und das Motorrad des Mordopfers noch steht. Bei dieser Entscheidung kann ihr nicht einmal Bruce Lee helfen!

 

1. März

Uuuuuuuuuuuuuuuuuuhhhhhhhhhhhh! Ich bin noch ganz aufgedreht!

Die Lesung lief gut, die Story Killing Campino scheint zu funktionieren. Habe mir abends noch die Konzerte reingezogen und gerade, als ich gehen wollte, als der letzte Lifeact auf die Bühne kam und ich ihn mir wirklich nur noch fünf Minuten anhören und -schauen wollte, weil ich einfach zu müde war, dann kam der Hammer: Konrad Küchenmeister! Mehr zu Veranstaltung und Abend unter www.slanted.de.

 

28. Februar

Großer Lesetag. Um vier Uhr bin ich dran. Dann wird Killing Campino einem breiteren Publikum präsentiert. Freue mich aufs Lesen und bin gespannt auf die Reaktionen. Zur Einstimmung etwas Mutmachendes. So nun muss ich los!

 

26. Februar

Mercy sucht Hilfe bei Agatha Christie, da sie die ganzen Ereignisse nicht unter einen Hut bekommt, dh es gelingt ihr nicht, alle einem Täter zuzuordnen. So denkt sie über verschiedene Mörder, Attentäter und Diebe nach. Dabei kommt sie fast automatisch auf Mord im Orientexpress - selbstverständlich in der Fassung von Sydney Lumet mit Lauren Bacall, Ingrid Bergmann, Jacqueline Bisset, Sean Connery, Anthony Perkins, Vanessa Redgrave und Richard Widmark, um nur die zu nennen, die ihr spontan einfallen. Wahnsinnig gern würde sie sich diese "heiter-parodistische Unterhaltung mit Hollywood-Touch" reinziehen, um auf andere Gedanken zu kommen. Kann sie aber nicht, denn sie hat nun alle in Verdacht, gemeinsam die Morde geplant und ausgeführt zu haben. Selbstverständlich auch den Diebstahl der DKW und die zwei Schusswaffenanschläge auf motorradfahrende Gruppenmitglieder. Da fragt sich der interessierte Leser: Kann das sein? Und schüttelt den Kopf.

 

24. Februar

Es ist schon komisch. Wenn ich ein paar Tage Zwangspause einlegen muss und nicht an Mord am Stilfser Joch schreiben kann, dann meine ich, dort müsste genausoviel Zeit vergangen sein, wie im realen Leben. So kann es mir glatt passieren zu vergessen, dass Mercy ja ein blaues Auge hat. Und prompt, jetzt wo ich dieses Tagebuch verfasse, fallen mir mehrere Szenen ein, in denen die darin vorkommenden Personen sie nicht darauf angesprochen haben. Dabei heilt ein Veilchen nicht in ein paar Stunden, auch dann nicht, wenn die Protagonisten einen neuen Mord an der Backe haben. Und sich die Autorin mit anderen Projekten herumschlägt, ja herumschlagen muss. Oder glaubt irgendjemand ernsthaft, es macht Spaß, an einem Samstag Abend mehrere Stunden lang die Echo-Gala anzuschauen?

 

21. Februar

Heute fällt mir nichts ein. Werde mir Musik in die Ohren stecken und joggen gehen. Dann wird alles gut!

 

20. Februar

Der Endspurt beginnt. Nun ist es vorbei mit den spontanen Einfällen. Nur noch, was der Aufklärung dient, ist erlaubt. Sonst spinnt sich die Geschichte immer weiter und weiter und weiter und auf Seite 300 sind es fünf oder sechs oder mehr Mordfälle und alle noch ungeklärt. Und die Tourengruppe vertreibt sich die sechste Woche ihre Zeit im Tiroler Hotel mit Essen, Trinken und Motorradfahren (und damit, die anderen Gäste um die Ecke zu bringen). Das geht selbstverständlich nicht. Menschen müssen zur Arbeit, Kinder in die Schule und Mörder in den Knast. Und um mich in die richtige Laune für die letzten Seiten zu bringen, schreibe ich erst einmal den Kurzkrimi Killing Campino fertig und höre zur Feier des Tages Die Toten Hosen live in Concert. Da bekomme ich richtig Gänsehaut und beschließe, dass Campino doch nicht sterben muss.

 

18. Februar

Hatte gestern ein wirklich inspirierendes Erlebnis. Mein Leihkind wurde sieben und bekam ein Spiel namens Wer war's? zum Geburtstag. Hauptakteure sind vier Detektiv/innen, ein Gespenst und eine sprechende Truhe, als Verdächtige stehen zehn Personen zur Verfügung. Da wir uns erst durch die mehrseitige Spielbeschreibung kämpfen mussten, gelang es uns NICHT, in der dafür zur Verfügung stehenden Zeit den Täter zu ermitteln. Dennoch gab das Spiel uns eine letzte Chance, spontan aus den vier verbliebenden Verdächtigen einen zu benennen. Und: Wir hatten Glück. Es war der Stallbursche. Und was kann ich für meinen Krimi daraus lernen? Vielleicht sollten Mercy und Julian dieses Spiel spielen, die Karten mit den Verdächtigen gegen ihre Verdächtigen austauschen und dann schauen, wer als Mörder herauskommt. Denn: Bei vier Möglichkeiten besteht immer eine Trefferchance von 25 Prozent.

 

12. Februar

Detektivarbeit kann sehr mühsam sein. In den alten Agatha-Christie-Romanen standen die Ermittler/innen stundenlang in fremden Gärten herum und lukten durchs Fenster, was der oder die Verdächtige so treibt. Ansonsten beschäftigten sie sich damit, genau festzuhalten, wann wer welche Kirchturmuhr hat läuten hören, wo diejenige Person dann war und konnten daraus den Mörder überführen. In der Hard-Boiled-Tradition hing der Detektiv eher rauchend in den Bars herum und beobachtete seine Verdächtigen, wobei er meist erwischt wurde und eins auf die Rübe bekam. Und was machen meine Detektive Julian und Mercy? Sie führen gesittet in der Hotellobby sitzend stundenlange Gespräche, setzen sich anschließend an ihr Laptop, erstellen eine Excell-Tabelle und lassen den Rechner ausrechnen, wer der Täter war... Und das glaubt jemand ernsthaft?

 

9. Februar

Musste nun doch auf Recherchereise in die Alpen fahren. Habe ein paar Tagen in Graubünden verbracht, wohin die Tourengruppe nach dem Stilfser Joch fahren wollte. In dem Ort, an dem ich mich aufhielt, gibt es eine Bar mit Namen La Trapla. Diese veranstaltet "Viva la Femmina"-Abende, an denen "Für weibliche Geschlächter halber Preis" winkt. Mein Internetdiktionär weist mich darauf hin, dass Frau im Italienischen donna heißt, im Rätoromanischen - was die Landessprache von Graubünden ist - wird das zu dunna, während "Femmina" anscheinend Weib, Weibchen oder (Schrauben-)Mutter bedeutet. Letzteres passt zumindest thematisch zu den Nagelwettbewerben, die ebenfalls angeboten werden.

Mehr Kopfzerbrechen bereitet das 'weibliche Geschlächter'. Wollen uns die Barbetreiber darauf aufmerksam machen, dass das Verhältnis von Mann und Frau sehr viel mit Schlacht zu tun hat? Dass die Schlacht der Geschlechter in Graubünden nicht nur noch nicht zu Ende ist, sondern dass hier im alten Rätoromanien gar Sicherheit darüber herrscht, wer Schlachter und wer Geschlächtete ist...?

 

30. Januar

Die Tourengruppe ist auf dem Stilfser Joch angekommen und trinkt in der Tibethütte einen Kaffee. Julian denkt über sein Leben nach und warum er das macht, was er macht. Mercy versucht, eine Sechsjährige in ein Gespräch zu verwickeln. Diese will lieber mit anderen Kindern eine Parkbank im Hotelteich versenken. Und schließlich taucht die verschwundene DKW wieder auf. Ein erster Schritt zur Lösung? Nein, ein erster Schritt zum nächsten Mord...

 

29. Januar

Musste mich nun mit dem Stilfser Joch beschäftigen. Was schreibt Denzel im Großen Alpenstraßenführer? "Trotz ihres Alters zählt sie nach wie vor zu den interessantesten und attraktivsten Hochalpenstraßen." Was heißt hier eigentlich: trotz ihres Alters? Verlieren auch Alpenstraßen an Attraktivität, wenn sie altern? Nutzt sich dann die Sicht auf die Berge ab? Oder gar die Berge selbst, die Schneeglocke, das Nashorn oder gar der Untere Ortlerferner? Die Einkehrstation "Weißer Knott"? Oder die "zahlreichen bunten Andenkenläden" oben am Joch? Oder meint er, dass der Straßenbelag schon bessere Tage gesehen hat? Könnte das vielleicht auch daran liegen, dass hier im Sommer einer der größten Bikertreffs der südlichen Alpen ist und weniger am Alter? Fragen über Fragen, die mir wieder einmal niemand beantwortet.

 

26. Januar

Habe heute, nachträglich, die Pässe in den Krimi eingefügt. Dazu habe ich oft beim Erzählen der Story einfach keine Lust. In Bücher blättern (Pässe vom Highlights-Verlag) oder per Viamichelin Kilometer zählen, das kostet Zeit und hemmt den Schreibfluss. Muss aber irgendwann sein, die Tourengäste können ja nicht von ab nach yz fahren. Die Leser verzeihen zwar viel, hat einmal ein kluger Mann (vergessen wer) gesagt. Man kann die abstrusesten Geschichten erfinden, aber das Rezept von Peking-Ente muss stimmen. Oder zwischen welchen Käffern die Sivretta-Hochalpenstraße liegt.

 

22. Januar

Schlage mich gerade mit einem anderen Problem herum. Bin zu den Krimitagen in Heidelberg Anfang Juli geladen, die sich - wie Blaues Gold - mit dem Thema Wasser beschäftigen. Dazu soll eine Anthologie (Sammelband) mit vielen Kurzgeschichten unterschiedlicher Autor/innen erscheinen. Ich darf auch eine wasserhaltige Short Story beitragen. Fertig soll sie Ende Februar sein. Ebenfalls Ende Februar habe ich beim Design Forum in Freiburg eine Lesung. Dafür brauche ich eine Kurzgeschichte, aber inhaltlich angelehnt an Branded Pop - Vermarktungsstrategien der Popmusik. Soll ich nun zwei Storys schreiben oder gelingt es mir, Popmusik und Wasser in einem Handlungsstrang zu verweben? Das hätte den Vorteil, dass die Pop-Geschichte in Buchform erscheinen kann und nicht ausschließlich für eine Lesung verfasst wurde.

 

21. Januar

Die Gruppe ist losgefahren mit Ziel Stilfser Joch. Deshalb zur Feier des Tages noch einmal der Sound Simulator. Mercy kann nicht mit, sie hat ein Veilchen. Das ist vielleicht kein Grund, doch sie muss eine DKW suchen, vielleicht mal etwas essen und vor allem duschen. Ebenfalls nicht mit von der Partie sind eine Verletzte mit Gehirnerschütterung, einer, der lieber ins Schwimmbad gegangen ist und einer, der kurz vor Abfahrt von Inspektor Schorlau mitgenommen wurde zu einer erneuten Vernehmung. Darüber ist Mercy sehr überrascht, denn denjenigen hatte sie nun bis jetzt noch überhaupt nicht im Visier. Und Julian, unserer Pierce Brosnan für Tourengäste, hat er einen Verdacht? Wenn ja, dann hat er ihn noch nicht verraten.

 

20. Januar

Das mit den hundert Seiten ist so eine Sache. Habe mal beim Verlag nachgefragt, wie sie denn Mord am Stilfser Joch umbrechen wollen, denn davon hängt ab, wieviel Seiten ich jetzt fertig geschrieben habe. Wissen sie aber noch nicht. Der Grafit-Verlag macht 34 Zeilen à 60 Zeichen auf eine Seite, danach habe ich jetzt 107 Manuskript-Seiten. Wollen die vom Highlights-Verlag aber wie bei ihren Reisebücher 63 Zeilen à 50 Zeichen bringen, dann sind es viel, viel weniger. Das zeigt sich eines ganz klar: Wir Autor/innen sind faule Säcke, die die Länge ihrer Krimis nicht danach ausrichten, wie lange eine Geschichte braucht, um erzählt zu werden. Nein, wir schreiben nur soviel, wie wir müssen, und lassen lieber ein paar wichtige Fakten (Morde) weg.

 

16. Januar

Seite 100 ist geschrieben. Mercy fühlt sich wie Batwoman, Julian wie der Heizer eines Vorkriegsüberseedampfers (habe kein Bild dazu gefunden, sorry) und ich, ich fühle mich wie eine ausgewrungener Schwamm aus Kalymnos. So ein Porifera, der sessil lebt und sich vorwiegend durch Infiltration ernährt. Könnte eine schöne Existenz sein, wenn nicht die obigen Taucher einen aus dem Meer holen würden und an Touristen verkaufen. Dann doch lieber ein Xestospongia testudinaria, der steht doch bestimmt unter einer Art von Naturschutz. Wie Krimiautorinnen. Die darf auch niemand tauchen und an Touristen verkaufen....

 

15. Januar

Kämpfe mit der Grippe. Hatte quasi schlaflose Nacht mit Husten und Schnupfen. Um drei heute Morgen kam der Schneepflug, um vier einer vom Nachbarhaus mit dem Taxi, um fünf der Mieter über uns von der Nachtschicht, um sechs die Zeitungen und um sieben haben die ersten wieder das Haus verlassen. Wie soll unter solchen Bedingungen ein Kriminalroman fertig werden?

 

14. Januar

Gehe in schnellen Schritten auf die Mitte des Krimis zu. Wenn mich nicht noch die grassierende Grippe überrollt, dann feiere ich am Wochenende Bergfest - und bin genau im Zeitplan! Und wie werde ich feiern? Vielleicht mit Whiskey und Mord? Oder Schampus und Kidnapping? Grappa und Überfall? Ich denke, ich werde die Seite 100 meines Manuskript mit einem gepflegten Mord krönen (die LeserInnen dieses Tagebuchs werden bemerkt haben, wie lange ich mich jetzt schon vor dem nächsten Tötungsdelikt drücke). Und Champagner. Von Aldi...

 

13. Januar

Bin im Augenblick so dermaßen in der Story drin, dass egal was ich tue, der Krimi quasi als Subtext mitläuft. Lese ich Zeitung, durchforstet ein Teil meines Gehirns alle Informationen nach brauchbaren Ideen, lese ich einen Roman, ist eine Ebene parallel geschaltet, die handwerkliche Kniffs registriert, analysiert und als verwertbar abspeichert oder als ungeeignet wieder löscht. Dieses Leben-in-der-Geschichte hat auf der einen Seite den Vorteil, dass jeden Morgen klar ist, was ich in meinen Rechner hacken will, es hat aber auch den Nachteil, dass ich keine Sekunde mehr frei bin.

 

10. Januar

Ich hadere. Wie soll es weitergehen? Soll die Vermisste tot gefunden werden? Oder soll sie wieder auftauchen, aber das Gedächtnis verloren haben? Das wäre doch ein schönes Bild: Motorrad liegt zwischen lauter Enzianen, die vermisste Person sitzt daneben, ein kleines Gemslein im Arm, und weiß nicht einmal mehr ihren Namen. Dummerweise kommt sie heutzutage dann in ein Hospital und nicht wie bei Agatha Christie zurück ins britische Landhaus, wo der Mörder sich nachts in ihr Zimmer schleichen und einen weiteren Versuch starten kann, sein grausames Werk zu vollenden. Vielleicht könnte die PoG (Person ohne Gedächtnis) die ärztliche Betreuung verweigern und lieber in ihr Hotelzimmer wollen, worauf Mercy und Julian nachts abwechseln Wache im Flur schieben, der Mörder kommt dennoch und es gibt einen Kampf? Ich glaube, diese Idee gefällt mir. Sehr sogar.

 

8. Januar

Es ist getan. Mercy hat nicht nur einen ermordeten Tourgast, einen Anschlag auf den Tourguide (die Reihenfolge stimmt nicht, es müsste eigentlich umgekehrt sein), ein gestohlenes Motorrad, nein, seit heute hat sie auch noch eine Vermisste. Eine der fünf Frauen wird vermisst, sie ist nicht zum Verhör erschienen, war mit dem Motorrad unterwegs. Mit welchem verrate ich nicht, denn dann kann jeder nachschauen, wer vermisst wird. Es wird noch ein wenig dauern, bis die Suche beginnt, aber es ist Sommer, es bleibt lange hell abends. Dabei kommt Mercy gerade so gut mit der Mördersuche voran, sie hat sich eine Liste mit Verdächtigen gemacht, eine Theorie gebastelt und nun wird wieder alles durcheinander gewirbelt. Gespannt bin ich vor allem, wie ich es schaffe, bis zur Seite 200 alles aufzulösen...

 

5. Januar

Zur allgemeinen Erbauung stelle ich mal wieder ein paar Originalsätze ins Netz:

Mercy stellte fest, als sie wieder in der Lobby stand, dass sich ein Gefühl von tiefsitzender Ratlosigkeit bei ihr breit machte. Sie hatte nicht nur einen ermordeten Tourgast, einen Anschlag auf den Tourguide, sondern auch noch einen gestohlenen Oldtimer, der für Filmaufnahmen gedacht war, an der Backe. Und alles hatte sich nicht etwa in der Nacht abgespielt, sondern am helllichten Tag.

Was macht Mercy jetzt? a. Geht sie erst einmal Motorradfahren, um einen freien Kopf zu bekommen? b. Holt sie sich ein dickes Lunchpaket im Hotelrestaurant und legt sich ins Schwimmbad (wir haben immerhin Sommer!)? Oder c. besucht sie Inspektor Schorlau in seinem Verhörkabuff und macht mit ihm eine Zeittabelle, wer sich wann wo aufgehalten hat und versucht sich an der Rekonstruktion des vermaledeiten Vormittags?

 

4. Januar

Mercy hat sich doch gegen das Gutmenschentum entschieden. Warum? Ganz einfach, weil ihr neues Motorrad mehr als 110 PS hat und die alte DKW 22. Es wäre für Sophie nicht sehr lehrreich gewesen, mit soviel Leistung unterwegs zu sein und für Mercy vielleicht sehr teuer. Deshalb hat sie ihr eine MZ Mastiff geliehen, auch eine schöne Maschine. Ansonsten hatten sie's heute mit Musik, die Warteschleife in der Tourenzentrale intonierte ursprünglich Gershwins Rhapsody in Blue. Dieser Titel wurde durch das Sex-and-the-City-Thema ersetzt, was aber beim Publikum auf noch weniger Gegenliebe stieß. Also gibt es momentan keine Musik. Dafür hört Tourguide Julian beim Tourguiden Dixie Chicks mit Taking the long Way, findet das dann aber zu fetzig und steigt mental auf Blue Danube um, damit ihm niemand aus der Kurve fällt. Auf jeden Fall besser als Ligetis Requiem aus dem gleichen Film. Es ist immer noch kein neuer Mord geschehen, doch irgendwas liegt in der Luft.

 

2. Januar 2009

Nun hat das Feiern ein Ende und meine Figuren brechen auf zu neuen Taten. Die Schauspielerin Sophie Sonntag beispielsweise ist bei der Tour mit dabei, weil sie für eine Rolle als Ilse Thouret Motorradfahren üben muss. Dummerweise ist die DKW 600 SS, auf der sie mitfahren wollte, verschwunden. Spurlos. Ob es sich wirklich lohnt, so eine alte Karre zu klauen? Ist ja kein Bugatti 57S Atalante, auch wenn die DKW nur von 1930 bis 33 gebaut wurde und angeblich heute noch 250 Stück davon existieren. Mercy, selbstlos, wie sie nun einmal ist, rückt ihr eigenes Motorrad raus. Eine nagelneue - nein, das verrate ich jetzt nicht, was Mercy fährt. Nur soviel: Es ist KEIN Oldtimer! Dennoch blutet ihr das Herz, denn sie ist damit selbst bis jetzt keinen Meter unterwegs gewesen. Ob sich soviel Gutmenschentum auszahlen wird? Ich befürchte ja nein.

 

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